Monat: Oktober 2014

Der Goldene Schnitt – noch ein Beispiel

Goldener Schnitt und Physik haben nicht viel gemeinsam, sollte man meinen. Stimmt nicht – eine Aufgabe aus der Elektrizitätslehre zeigt das. Das nachfolgende Beispiel stammt auch aus der Physik und ist in Fachkreisen sicher bekannt. Mir fiel jetzt ein, dass ich es vor Jahren einmal nachgerechnet habe. Danach vergaß ich es – das hat es nicht verdient. Also eine kleine Neuauflage des Problems. Es geht um ein L-förmiges Stück Karton.

Abb. 1

Abb. 1

Wir starten mit einem quadratischen Stück Karton. Aus diesem Quadrat soll ein kleineres Quadrat an der rechten oberen Ecke herausgeschnitten werden, dessen Seiten parallel zu denen des größeren Quadrats sind. Übrig bleibt ein L-förmiges Kartongebilde mit gleich langen Schenkeln. Dieses soll am Schnittpunkt der Schenkel-Innenkanten so aufgehängt werden, dass seine Schenkel in der Waagerechten sind. Frage: Wie groß muss die Kantenlänge des herausgeschnittenen Quadrats sein, bezogen auf die Kantenlänge des ursprünglichen Quadrats, damit dies der Fall ist?

Man sieht sofort ein, dass der Aufhängepunkt der Schwerpunkt der L-förmigen Restfläche sein muss. Wir müssen daher die Lage dieses Schwerpunkts berechnen, und zwar in Abhängigkeit von der Kantenlänge des herausgeschnittenen Quadrats.

Um die Rechnung zu vereinfachen, setzen wir die Kantenlänge des ursprünglichen Quadrats gleich 1 (Eins). Die Kantenlänge des herausgeschnittenen Quadrats sei r genannt. Es ist nun sinnvoll, ein (rechtwinkliges) Koordinatensystem zugrunde zu legen, dessen Ursprung mit der linken unteren Ecke des ursprünglichen Quadrats zusammen fällt, und dessen Achsen sich in Richtung der unteren Kante (x-Achse) bzw. linken Kante (y-Achse) dieses Quadrats erstrecken (Abb. 1).

Abb. 2 Das ausbalancierte L (rot)

Abb. 2 Das ausbalancierte L (rot)

Die Rechnung ergibt, dass r der Gleichung   r3   –  2r  +  1  =   0 genügen muss. Die positiven Lösungen dieser Gleichung sind r = 1 oder r = 0,61803398… . Das heißt, der Schnittpunkt der Schenkel-Innenkanten des „L“  liegt entweder bei ( x, y )   =  (1, 1)  oder bei ( x, y )   =   (0,618…, 0,618…). Die erste Lösung  (1, 1)   entspricht einem „L“ mit Flächeninhalt Null, sie ist physikalisch nicht zu realisieren. Bei der zweiten hingegen liegt der Schwerpunkt innerhalb der Fläche des ursprünglichen Quadrats, und zwar im „Goldenen Schnitt“ der Quadratseiten1. Abb. 2 zeigt ein solches ausbalanciertes L.

1 Alles über den Goldenen Schnitt steht z. B. bei A. Beutelspacher und B. Petri: Der Goldene Schnitt, BI-Verlag, Mannheim 1989